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Denkanstoß | Gratwanderung

Aktualisiert: 5. Juni 2020

VON KLAUS HURTZ

Natürlich bin ich während meiner Studienzeit in Innsbruck gerne in die Berge gegangen; natürlich immer nur zum Wandern und nicht zum Klettern! Denn so herrlich die Bergwelt ist, so birgt sie doch ihre Gefahren. In schwindelnder Höhe über einen Bergkamm zu balancieren oder einen Klettersteig zu überwinden, dazu reichte mein Mut bei weitem nicht aus. Da nutzten auch die gutgemeinten Ratschläge meines Studienfreundes nichts, der mir gerne immer die Sicherungsmaßnahmen vor Augen führte. Für ihn war klar, bei gutem Wetter und einem angemessenen Schwierigkeitsgrad, mit der richtigen Ausrüstung, unter bergkundiger Führung und aneinander angeseilt, da ist jede Klettertour zu meistern.

Mir scheint, auf einer solchen Kletterroute sind wir miteinander in unserem Land und weltweit in Corona-Zeiten unterwegs! Allerdings fragt das Virus nicht nach unserer Zustimmung, den Umständen oder dem Schwierigkeitsgrad. Nur eines ist sicher, dass nur gemeinsam der lange, riskante Weg geschafft werden kann, weil die Möglichkeiten und Fähigkeiten eines jeden Einzelnen und eines jeden Landes gebraucht werden! Das fängt bei den ganz unterschiedlichen Ausrüstungen an, Engpässe im großen wie im kleinen können nur im Miteinander gelöst werden. Auch gibt es große Unsicherheiten, welcher kundigen Führung man sich anvertrauen soll, denn über die Wegrichtung gibt es immer wieder ganz unterschiedliche Auffassungen. Ich halte mich gerne an die Experten. Wie bei einer Gratwanderung für mich der erprobte und erfahrene Bergführer maßgeblich wäre, so höre ich in diesem Meinungsgewirr auf die Wissenschaft. Wobei mich unterschiedliche oder sich verändernde Bewertungen wenig irritieren, da genau dies der Ausweis von Wissenschaftlichkeit ist. Neue Erkenntnisse erfordern einsichtiger Weise immer auch modifizierte Aussagen! Unerlässlich wichtig bleibt, dass wir eine große Seilschaft bilden, nur gemeinsam werden wir die Abgründe überwinden! Strauchelt jemand, so kann ihn die Gemeinschaft vor dem Absturz bewahren. Nur wenn zu viele gleichzeitig stürzen, könnten diese die anderen mitreißen, deshalb ist Eigenverantwortung in Pandemie-Zeiten immer auch Fremdverantwortung und umgekehrt! Wo wir sie nicht wahrnehmen, schädigen wir nicht nur uns selbst, sondern immer auch die Mitmenschen! Zu guter Letzt sollte für diese Corona-Zeit der eherne Grundsatz jeder Kletterei gelten, dass immer das schwächste Glied das Tempo bestimmt. Eigentlich sollte dieser menschliche Maßstab selbstverständlich sein; doch wem dies nicht genügt, der sei daran erinnert, dass wir den „Risikogruppen“ unsere Möglichkeiten verdanken, denn sie erarbeiteten den Wohlstand, der manches auf unserem Weg erleichtert. Zudem trägt jeder irgendwann – wenn nichts Böses passiert – eines Tages das „Risiko“ des Alters in sich.

Corona ist für uns Menschen eine Gratwanderung! Wie und wo wir ankommen, liegt an unseren heutigen Entscheidungen und Verhaltensweisen. Auf alle Fälle brauchen wir für diesen langen Weg viel Mut und noch mehr Gottvertrauen! Beherzigen wir daher das Wort, das mir in dieser Woche jemand per SMS aus dem Krankenhaus schickte:

„Mut ist Angst, die gebetet hat.“




Kolumne Denkanstoß der Rheinischen Post | Mönchengladbach vom 15. Mai 2020


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