top of page

Denkanstoß: Vorweihnachtliche Ahnenforschung

Denkanstoß von Pfr. Klaus Hurtz am 19. Dezember 2025 in der Rheinischen Post


Die Kinder nehmen gerne ihre Finger zu Hilfe, um genau abzuzählen, wie oft man noch bis zur Bescherung schlafen muss; fünf Tage vor Heiligabend genügt dazu eine Hand. Die Kirche zählt anders, sie singt und betet sich dem Fest entgegen; ihre Zählung ist eine Abfolge der Ehrentitel Jesu. Denn jedem der letzten sieben Tage vor der Heiligen Nacht ist seit dem 7.Jh.die jeweilige O-Antiphon des Magnifikats zugeordnet. In diesen wird der kommende Messias besungen; es beginnt am 17.12. mit: „O, Weisheit“ und endet am 23.12. mit „O, Immanuel“; der heutige Tag steht unter der O-Antiphon: „O, Wurzel Jesse“.


Jede Pflanze besitzt Wurzeln, denn nur mit ihnen kann sie Wasser und Mineralstoffe aufnehmen; zudem festigt das Wurzelwerk die Pflanze im Boden, gibt ihr Halt und Standfestigkeit. Manche Wurzeln weisen auch Vorräte auf, die in Notzeiten aktiviert werden können. Wenn heute unser Blick auf die „Wurzel Jesse“ gelenkt wird, so soll damit das unglaubliche Wunder der Weihnacht unterstrichen werden: Der wahre Gott wird wahrer Mensch im Kind zu Bethlehem. Denn wie seine göttlichen Wurzeln im Geheimnis von Gott selbst gründen, so reichen seine menschlichen tief in die Geschichte Israels hinein. Mit Maria ist Jesus ganz im Volk Israel verwurzelt, mit Josef wird er genealogisch in die Nachkommen Davids eingereiht, dessen Vater Jesse genannt wird. Die Weissagung des Propheten Jesaja (11,1-10) offenbart den menschlichen Wurzelgrund des kommenden Messias, verortet sein Menschsein.


Kurz vor dem Fest haben wir die Chance, den Zuruf der Antiphon anzunehmen und bei aller Geschäftigkeit uns die Ruhe zu gönnen, über die eigenen Wurzeln nachzusinnen. Wie haben unsere Vorfahren diese Festtage gefeiert, wie haben sie gelebt? Wie haben sie die Herausforderungen ihrer Zeit gemeistert? Was war ihnen wertvoll und wichtig? Diesen und ähnlichen Fragen nachzuspüren und dann darüber im Kreis der Familie oder der Freunde ins Gespräch zu kommen, das kann unser Leben verändern. Denn jeder von uns steht im Verbund mit denen, die voraus waren, und wir tragen mehr von ihnen in uns, als wir vielleicht ahnen. Daher sind wir im eigentlichen Sinn nie allein, sondern immer Glied einer langen Kette. Natürlich sind unsere Lebensumstände ganz andere als bei den Altvorderen, aber in Bezug auf die existentiellen Fragen des Daseins, erst recht in Bezug auf Gott, besitzen wir Heutigen keinen Wissensvorsprung! Wenn wir uns mit unserem menschlichen Wurzelgrund beschäftigen, kann es geschehen, dass uns die Augen für unsere göttlichen Wurzeln geöffnet werden. Denn unsere Ahnen wussten, dass Gott Mensch wird, damit wir lernen, dass der Mensch Kind Gottes ist. „O, Wurzel Jesse“, eine Einladung zur vorweihnachtlichen Ahnenforschung der besonderen Art!



Klaus Hurtz, Pfarrer von St. Marien und vom Trostraum St, Josef, Grabeskirche




 
 
 

Kommentare


bottom of page