Schon der Name ist anachronistisch; seit dem Mittelalter heißt der heutige Tag „Fronleichnam“, nur kirchlich-sozialisierte Zeitgenossen werden ihn noch mit „Herren-Leib“ übersetzen können, und damit den Zusammenhang mit der Eucharistie erkennen. Schaut man auf die charakteristische Besonderheit des Festes, so scheint diese erst recht einer längst hingesunkenen Zeit anzugehören: ein kleines Stück Brot wird mit Gebeten und Gesängen durch die Gassen und Straßen getragen, um den Menschen neuen Lebensmut und tiefe Lebensfreude zu schenken. Begegnen wir hier nicht endgültig der „Welt von gestern“, hochgehalten von einer Institution, die in der Meinung mancher Medien und Menschen längst den Anschluss an das Heute verpasst hat.
Immerhin darf man in einem ersten Schritt darauf verweisen, dass schon lange unser nachlässiger Umgang mit Lebensmitteln gewiss kein Ausweis eines klugen, geschweige denn ethischen Verhaltens ist. Der Hochmut einer Wohlstandsgesellschaft lässt uns Nahrung verschwenden und wegwerfen, und damit die nackte Not in anderen Teilen der Welt vergrößern. Wir verbrauchen lebensnotwendige Ressourcen, ohne sie zu brauchen; daher stünde uns dringendst etwas mehr Ehrfurcht vor einem Stück Brot jenseits aller Glaubensüberzeugungen gut zu Gesicht! Erst recht in einer Zeit, in der kompetente Köpfe wichtiger Organisationen und Nationen sich um eine drohende weltweite Hungersnot größte Sorgen machen. Denn es gehört zu den Grunderfahrungen der Menschheit, dass Krieg und Hunger Brüder sind. Mit tiefem Entsetzen sehen wir die menschenverachtenden Grausamkeiten auf den Schlachtfeldern, die so nahe gerückt sind und gleichsam vor unserer Haustüre liegen. Dabei stehen wir in der Gefahr, dass wir übersehen, dass Ukraine und Russland die Kornkammern der Welt sind. Und aus leeren Kornspeichern kann man selbst für alles Geld der Welt kein Korn kaufen.
Wo Christen heute der Monstranz folgen, tun sie es in der Gewissheit, dass in diesem Stück Brot der Herr selbst zugegen ist. Sie vertrauen auf das Wort des Gottessohnes, dass er im Brot sich selbst uns Menschen schenkt, damit unsere Seele Kraft und Nahrung erhält. Wie sehr unsere Seele genau dies braucht, das erleben wir bei jedem Unfall und jedem Unglück, bei jeder (Natur-) Katastrophe, bei jedem Amoklauf. Denn gottlob sind heute in der Regel Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger zur Stelle, die um die Bedürftigkeit der Seele wissen.
Sorgen wir uns um die eigene Seele? Sorgen wir für sie? Es bleibt für mich ein rätselhaftes Phänomen, mit welchem Aufwand, mit welcher Aufopferung sich Menschen um ihren Körper kümmern. Nahrungspläne werden erstellt, Fitnessstudios besucht, Zeit und Geld investiert, um das vermeintlich Beste aus ihm herauszuholen. Und dabei wird die Seele vergessen, und man lässt sie langsam verhungern. Doch wann, wenn nicht in Zeiten von Krieg und Pandemie, braucht sie „Seelenspeise“? Diese kann uns einzig Gott schenken, indem er sich selber gibt, Und seine Kornkammern sind immer gefüllt! So haben wir allen Grund, dieses Fest heute dankbar zu feiern; und mir scheint, gäbe es Fronleichnam nicht, man müsste es sofort einführen!
Klaus Hurtz
RP-Denkanstoß vom 16. Juni 2022
Photo by Wesual Click on Unsplash
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