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Denkanstoß: Das Lob der Langeweile

Denkanstoß von Pfr. Klaus Hurtz am 18. Juli 2025 in der Rheinischen Post


Endlich Schulferien! Immer wieder dürfen wir unserer Sprache danken, weil sie uns wichtige Hinweise schenkt! Denn es heißt nicht „Schulurlaub“, in dem die „Erlaubnis“ steckt, dem Unterricht fernzubleiben; sondern „Ferien“. Dieses Wort kommt aus dem Lateinischen und meint nichts anderes als „Festzeit“. Wenn die Schülerinnen und Schüler in die großen Sommerferien gehen, sagt uns die Sprache, dürfen sie sechs Wochen das Leben wie ein Fest feiern, denn ihnen wird das Kostbarste geschenkt, was es gibt: Unverplante Zeit!


Bis heute spüre ich dieses beglückende Gefühl, das mich immer zu Beginn der Sommerferien erfüllte. Vor mir lagen paradiesische Wochen, in denen ich tun und lassen konnte, was mir gerade in den Sinn kam; das Ende lag in so weiter Ferne, dass ich es kaum sehen konnte. Dabei barg jeder Tag das große Versprechen, mich zu überraschen, weil ich immer spontan bestimmen konnte, wie ich ihn ausfüllen wollte. Natürlich hing jede Entscheidung auch von Umständen ab: Wieviel Spielkameraden kamen zusammen? Wie war das Wetter? Reichte das verbliebene Taschengeld für Freibad oder Kino? Doch schreckten solche Fragen nicht, weil man in seinen Entscheidungen geübt war, und vor allem wusste man, sie auch kurzfristig zu verwerfen und neue zu treffen. Nur eines mochte ich als Kind nicht, erst als Erwachsener erkannte ich es als Segen: Das Gefühl der Langeweile.


Auch hier dürfen wir auf unsere Sprache hören! Wenn die Weile lang wird, wird uns langweilig. Aber, und genau dies kann man erst in reiferen Jahren erkennen, regen solche „langen Weilen“ zu Gedanken und Assoziationen, zu Träumereien und Phantasien an, und werden zum Nährboden jeglicher Kreativität. Als Kind war mir nur wichtig, der Langeweile zu entfliehen, als Erwachsener habe ich ihre Kraft und ihr Potenzial schätzen gelernt. Es ist ein Paradox: Die scheinbar ungenutzte „leere“ Zeit ist die fruchtbarste!


Machen heutige Generationen noch diese Erfahrungen? Ich wünsche es ihnen, allein mir fehlt der Glaube. Heute meidet man jeden Leerlauf wie früher der Teufel angeblich das Weihwasser! Daher ist in der Regel bei Jung und Alt der Alltag angefüllt mit vielen Verpflichtungen und Zwängen; selbst die „Frei“-Zeit wird mit Anforderungen und Terminen zugekleistert. Aus Sorge, irgendetwas zu verpassen, sprengen sportliche, musische, gesellschaftliche, familiäre Aktivitäten und Events den Kalender. Gleichzeitig wird die reale von der digitalen Welt belagert, die man ebenfalls wahrnehmen und bedienen soll, will, muss.


Endlich Schulferien! Ob sie gelingen, liegt nicht am (exotischen) Reiseziel, sondern ob wir uns einstimmen lassen in die unverplante Zeit! Haben wir Mut dazu! Singen wir das Lob der Langeweile mit! Dann wird -ob in der Ferne oder Daheim- unsere Kreativität geweckt! In ihr sind wir unserem Schöpfer besonders nah, dann wird das Leben zum Fest!


Klaus Hurtz, Pfarrer von St. Marien und vom Trostraum St, Josef, Grabeskirche




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